Die Arbeiten zu "L' âge d'or" implizieren die Sehnsucht nach einem paradiesischen Leben, einen Traum. Bereits seit 1988 hatte der Künstler, der zu den wichtigsten figurativen Malern in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg zählt, an diesem Zyklus gearbeitet, als Ihn in den 90-er Jahren, schwere Krankheiten vom Malen abhielten.
„Das ist aber für mich dann so gewesen, dass ich gemerkt hab, wie man in Lebensabschnitten, wo einem das Leben besonders zusetzt, wo man also wirklich gebeutelt wird, sich dann nach einem „L'âge d'or“ sehnt. Das heißt, man sehnt sich nach einer Utopie, denn dieses Paradies wird ́s nie geben auf Erden.“
Dennoch versucht Helmut Rieger in seinen Bildern wenigstens einen Schimmer des Goldenen Zeitalters, sozusagen eine alltagstaugliche Vision zu kreieren.
„1961 da hab ich zum ersten Mal, das war ganz neu, ein Buch von Teilhard de Chardin gelesen. Und der schrieb darin, dass die Wiege der Menschheit in Afrika liegt, und ich als barocker Christenmensch war sehr erschüttert, als ich gemerkt hab, Adam und Eva sind farbige Menschen gewesen. Und ich hab dann auch in den 80-er Jahren entdeckt, dass ich mit farbigen, das heißt mit schwarzen Menschen den Ausdruck verstärken kann.“
Das innere Bild
Helmut Rieger war nie selbst in Afrika. Er hat nie einen Fuß auf den Kontinent gesetzt. In seiner Fantasie hat er jedoch seine eigenen Afrika-Vorstellungen entwickelt und diese in Bilder verarbeitet. "Ich habe die Reise nach Afrika im Kopf gemacht, und die Bilder, die mir durch den Kopf gegangen sind, habe ich gemalt", erklärt Rieger selbst. Schon früh zeigt der Mitbegründer der Gruppe WIR (1959 – 1965) Interesse an den großen Völkerkundemuseen in Basel, Stuttgart und München. Dabei lässt er sich auch von Pablo Picasso inspirieren, dessen künstlerisches Schaffen maßgeblich von afrikanischer Kunst beeinflusst war und in seiner Adaption der europäischen Malerei und Bildhauerei einen neuen Weg gewiesen hatte. Weg von dem romantischen Grundton, hin zu malerischen Perspektiven. Rieger entwickelt irreale, fast mythisch-verklärte Fiktionen von Afrika, die er dann - ganz dem Expressionismus verpflichtet - in teils farbintensiven, teils schwarz-weiß-braun Tönen oder Erdfarben malt.
Der Grund für Riegers Interesse am „schwarzen Kontinent“ und der intensiven Beschäftigung mit afrikanischer Kunst und Kultur liegt vor allem auch in den lebensbedrohenden Krankheitsphasen in den 1970-er und 90-er Jahren.
„Es ist keine Flucht, sondern ist vielleicht auch eine Überlebensstrategie, dass man in solchen Situationen sich Themen zuwendet, um sich selber wieder zu festigen.“ Er male diese ganz einfachen Dinge, sagt Helmut Rieger, die die Urthemen der Kunst ausmachten: Geburt, Einsamkeit, Tod, Kampf, Jagd, Liebe.
In seinen Bilderzyklen erzählt Helmut Rieger Geschichten mit unterschiedlichen Akzenten. Er bedient sich dabei nicht nur einer adaptierten afrikanischen Formsprache, die in ihrer Abstraktion den langgliedrigen Figurentypus mit schmalem Kopf und verhältnismäßig großen Händen und Füßen nachahmt, sondern auch Kompositionsprinzipien, wie sie bereits die Antike in ihren Bilderfriesen kannte. So handelt es sich in den unterschiedlichen Bildwerken eines Zyklus um jeweils eigenständige jedoch thematisch zusammengehörende auf einander bezogene Handlungen. Auch sind Beziehungen von Riegers Gemälden zur Kunst des Barock spürbar.
Von Beginn an fühlten sich Rieger wie auch die anderen am Informel geschulten Mitglieder der Gruppe WIR in ihrem künstlerischen Anliegen der Kunst des Barock verpflichtet. Sie wollten nicht neu und zwanghaft originell sein. Dafür nahmen sie in Kauf als nicht zeitgemäß eingestuft zu werden. Vor allem die Malerei des Barock und der Versuch diese mit den Möglichkeiten des All over von Jackson Pollok zu verbinden standen im Mittelpunkt des Interesses. Eigenem Bekunden zur Folge leitete den Maler einerseits das Überschwängliche, das Allumfassende, das die Ratio und das Irrationale zu vereinigen versucht und auf der anderen Seite das, „was wir als die große Amputationsorgie der Moderne bezeichnen, die sich der Reduktion bedient, um zum Wesen der Kunst zu kommen“, wie es Gottfried Knapp formulierte.
Durch alle Phasen hindurch sind in Riegers Malerei der impulsive, vitale und gestische Duktus, der souveräne Umgang mit Farbe und die formatfüllende, den Bildraum beinahe sprengende Dynamik fassbar zu machen.
Explosive Grundfarben
Mit einer über die Bildgrenzen reichenden Kompositionsweise, die den realen Bildraum in den imaginären Raum erweitert und damit das Einzelwerk als Ausschnitt eines übergeordneten „Bildgeflechts“ formuliert, lassen sich seine Bilder nicht nur isoliert lesen, sondern als ein aufeinander bezogenes Gewebe. Riegers Bildthemen kehren im Werk in variierter Form wieder. Werkimmanente Assoziationen und symbolische Verbindungen werden aufgebaut.
Die „Verflechtung“ als angestrebtes formales und soziologisches Prinzip der Gruppe GEFLECHT (1965-1968) entwickelt Rieger in seiner gruppenunabhängigen Arbeit in thematischer und inhaltlicher Hinsicht konsequent weiter.
Die in den explosiven Grundfarben rot, gelb und blau mit viel schwarz verwobenen Bildelemente verweisen zudem auf Riegers Affinität zu den dänisch-flämisch-niederländischen Cobra-Künstlern (1948-1951), die dem Studenten in Ihrem Streben den Expressionismus mit den Stilmitteln des Informel wiederzubeleben, gewissermaßen die Augen öffneten. Inspiriert von der naiven Art Brut Jean Dubuffets verbanden sich hier kindlich-naive Techniken mit abstrakt-figurativen Farb- und Formgebungen.
Trotz des fortwährenden Versuchs die Empfindungen in tachistischer Annäherung durch spontanes Auftragen von Farbe auf die Leinwand auszudrücken und dem Unbewussten ungesteuerten bildnerischen Ausdruck zu geben, bleibt die Abstraktion stets gegenstandsbezogen und die Bindung an die körperlich-figurale Tradition bei Helmut Rieger immer das dominierende Element. Die völlige Auflösung des Gegenstandes als Mittel der zeitgenössischen informellen Kunst bleibt in dem Prinzip sich durchdringender, figurativ- abstrakter Formen und Farbstrukturen von ihm unbeachtet. So bezeichnete er sich selbst nicht als informellen Maler sondern als einen „Figurenmaler“ (Rieger). In „Heimkehr“ kreist seine Malerei um archaische Themen und eine Bildsprache, die sich - als Gegenpol zum Informel - vor allem der Auseinandersetzung zwischen Figur und Bildraum widmet.
„Malerei machen hieß für uns immer, sich reiben. Man reibt sich aber nicht nur am Bestehenden und Traditionellen, sondern genauso auch an der Avantgarde. In den fünfziger und zu Beginn der sechziger Jahre war es wirklich ein nahezu festgeschriebenes Gesetz, dass die Figur überholt wäre (...) Das war Anlass genug, auf keinen Fall der Figur verlustig zu gehen. Obwohl sich unsere Bilder in erster Linie über den Bild-Raum definierten, waren Figur und Inhalt, als Antithese im Malprozess, unverzichtbar für uns.“
Der Expressionissmus nimmt einen breiten Raum in den künstlerischen Strömungen der deutschen Nachkriegsmoderne und eben auch in Riegers Werk ein. Als gestisch –expressiver Maler ist Riegers Malstil von der Linie geprägt. Er führt seinen Pinsel fast wie ein Zeichner in raschen Gesten, häufig nass in nass. Seine Zeichenhaften Formen unterstreicht er durch ein dunkler konturierendes, jeweils unterschiedlich dichtes Lineament. Spannungsträger der Handlung ist die Linie. Die Schlichtheit der Form bei größtmöglicher Dichte, erinnert an Expressionisten wie Kirchner und Beckmann. Rieger knüpft hier an Tendenzen an, die vor dem 2. Weltkrieg im Expressionismus en vogue waren und führt Stilphänomene fort, die durch Krieg und Naziherrschaft „unterbrochen“ wurden. Sowohl thematisch, als auch in der Komposition der Farben und Formen, jedoch nicht im pastosen Farbauftrag, ist die Verbindung sichtbar.
Im Unterschied zu vielen seiner spontan zupackenden und pastos arbeitenden Malerkollegen, wie beispielsweise Emil Schumacher, der Farbe klumpig aufträgt, den Malgrund aufbricht und Relieflandschaften mit großer haptischer Ausstrahlung schafft, hält Helmut Rieger an einer altmeisterlich anmutenden Technik mit einem dünnschichtigen Farbauftrag fest. Durch die zahlreichen übereinandergelagerten transparenten Farbschichten erzielt er eine äußerst sinnliche zuweilen fast unheimliche Bildwirkung, die das Bildgeschehen in eine ebenso expressive wie auch nahezu transzendente Atmosphäre taucht.
Das Unsichtbare hinter dem Sichtbaren
„Helmut Rieger liebt das Drama in den Bildern, den Kampf von Farben und Linien, drastisch weite Bildaufteilungen, den fliegenden drängenden Pinselstrich“, wie es Moritz Holfelder im Bayrischen Rundfunk 2005 beschreibt. Kraftvoll leuchtende und kontrastreiche gelb, grüne, blaue Töne und vor allem ein warmes leuchtendes Rot dominieren das hier vorgestellte Bild. Schwarz vermittelt den mythischen Aspekt der Werkphase und birgt die Assoziationen des Unbewussten und Magischen, auch des Schmerzhaften und Bedrohlichen in sich. Insgesamt zeichnet sich die Farbwirkung durch einen warmen, sinnlichen Grundton aus, der die pulsierende lebensspendende Kraft zum Ausdruck bringt.
Thematisch findet sich diese Bildatmosphäre im Bereich des Mythischen bestätigt. So kann der Fisch archetypisch als Symbol für die unter Wasser verborgene Wahrheit gedeutet werden, die es zu entdecken und ans Licht zu holen gilt. Im Verborgenen schillernd, entgleitet sie dem Fischer leicht, verspricht aber Nahrung. Als ein Ausdruck lebensspendender Energie und als inspirierender und nährender Inhalt der Seele steht er für Glück, Reichtum, Fruchtbarkeit und Zeugungskraft.
Riegers erklärtes Ziel war es, die Magie der „Realität“, das Unsichtbare hinter dem Sichtbaren in Form des Mythischen zu zeigen. Mit wildem, kräftigem, fast aggressivem Pinselduktus bannt der Maler Erinnerungen an uralte magische Zeiten und zaubert stark abstrahierte farbige Menschen oder Tiere auf den Malgrund. Ein Klischeebild von Afrika? Vielleicht. Der Künstler jedoch sah sein inneres Afrika als Metapher für die existentiellen Kämpfe des Menschen gegen eine unberechenbare Natur. Mit dem Fangen eines Wunschfisches offenbart sich dem Fischer in der Fantasie die Möglichkeit, die im realen Leben niemals verwirklicht werden kann. Aufgrund seiner existenziellen gesundheitlichen Erfahrungen ist Helmut Riegers damalige Fiktion von Afrika vor allem mit den elementaren Bedürfnissen des Menschen sowie den Ursprüngen von Sein und Werden verbunden. Tief beeindruckt von der kraftvollen Ursprünglichkeit afrikanischer Kunst und Kultur thematisiert seine ausdrucksstarke Bilderwelt archaische Urinstinkte, Eros und Sexualität, Leben und Tod sowie die Sehnsucht nach einem „L'âge d'or“ und dem Paradies.
Der ursprüngliche Antrieb dieser künstlerischen Auseinandersetzung, Verweise auf Zeitgeschehnisse und persönliche Erfahrungen werden hier in formale bildnerische Lösungen eingebunden und durch Metaphern von der zeitgebundenen Realität in eine zeitlose und damit überzeitliche Ebene umgesetzt. Damit erziehlt Rieger eine Distanz, die seine Themen für allgemein gültig erklärt. Der enge Bezug zur Biographie des Künstlers ist in den symbolhaften, mythologisch verankerten Bildwelten für den Betrachter oft nicht mehr wahrnehmbar, wohl aber die existentielle Energie, der sie entspringen.
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